Schmerzen, insbesondere chronische Schmerzen, werden allgemein als negativ bewertet. Der Schmerz soll möglichst schnell wieder weggehen. Tut er das nicht, soll er mit verschiedenen Mitteln bekämpft oder zumindest kontrolliert werden. Dementsprechend richten sich viele therapeutische und ärztliche Massnahmen danach. Es herrscht die verbreitete Vorstellung, dass es prinzipiell möglich sei, Schmerzen zu kontrollieren. Aber wie weit lässt sich Schmerz wirklich beherrschen oder sogar willentlich bewältigen?
Die auf Schmerzen spezialisierte Psychotherapeutin Hanne Seemann schreibt dazu:
«Der Schmerz ist, wie andere Empfindungen, ein eigenmächtiges Geschöpf, er kommt und vergeht wieder oder bleibt da, vermeintlich ohne Grund. Und wenn wir ihn rufen würden aus der Erinnerung, käme er vermutlich nicht. Er gehört wie vieles, was in unserem Gehirn stattfindet, zu den unwillkürlichen Geschehnissen und ist deshalb dem aktiven Willen und der Kontrolle nur schwer zugänglich.»
Einerseits kosten anhaltende Kontrollbemühungen viel Kraft und Zeit. Anderseits kann der Anspruch auf eine Schmerzkontrolle zu einem hohen Druck sowohl für Patienten als auch für Therapeuten führen. Hinzu kommen Versagens- und Schuldgefühle wenn es nicht klappt, wodurch man sich noch schlechter fühlt.
Der Schmerz und mit ihm verknüpfte Gefühle wie Angst oder Trauer sollen eingedämmt und reguliert werden. Dies führt nicht selten zu einem regelrechten Kampf gegen den Schmerz und gegen alles, was er mit sich bringt. Die Beziehung zum Schmerz und letztendlich auch zum eigenen Körper verschlechtert sich.
Die Kontrollvorstellung führt oft zur Überschätzung von kognitiven Einflussfaktoren. Es soll versucht werden, den Schmerz mittels Gedanken oder «Kraft des Geistes» zu kontrollieren oder zu bewältigen und so trotz Schmerzen alles machen zu können, was einem wichtig ist. Dabei wird die Realität vieler Schmerzen oft falsch eingeschätzt. Es gibt Schmerzzustände, mit denen kann man nicht zur Arbeit gehen, ein Konzert geniessen oder sich im Garten beschäftigen.
Als Betroffene von chronischen Schmerzen rät die Psychologin Ursula Frede zu einer gewissen Bescheidenheit gegenüber dem, was wir mit unserem Denken und Handeln verändern können. Bestimmte Faktoren sind beeinflussbar, andere liegen ausserhalb unseres Einflussbereichs. Keinesfalls sollte Schmerz passiv hingenommen werden. Jedoch kann versucht werden, ihn als «zum Menschsein zugehörig» anzuerkennen.
Unsere Eigenverantwortung besteht darin, unsere Fähigkeiten innerhalb der vorgegebenen Grenzen zu nutzen. Auch wenn dies zur Folge hat, dass wir unsere bisherigen Vorstellungen vom Leben komplett umstellen und ein anderes, aber nicht unbedingt schlechteres Leben, entwickeln müssen.
Aus: Seemann Hanne (2018) & Frede Ursula (2016)